Gegen den TrendÜberwachung ist die Mutter aller Probleme

Grundrechte statt Überwachung zu fordern, liegt gerade nicht im Trend. Doch der markige Ruf nach mehr vermeintlicher Sicherheit gefährdet unsere Gesellschaft. Deshalb halten wir dagegen. Das geht nur dank eurer Unterstützung.

Eine Werbefläche vor einer Hauswand mit der Aufschrift "Überwachung ist die Mutter aller Probleme"
Durch diese Fotomontage haben wir ca. 1.400 € Werbebudget gespart. – Fotomontage, netzpolitik.org

Als Horst Seehofer, Vater des populistischen Migration-als-Mutter-aller-Probleme-Zitats, das Amt als Innenminister abgab, schöpften viele Hoffnung. Denn mit Nancy Faeser übernahm eine Sozialdemokratin das Haus. Und die würde wohl nicht länger die Grundrechte schleifen, als gäbe es kein Morgen.

Es kam anders. Und im Rückblick lassen sich die Überschriften unserer Texte vor und nach Seehofer kaum unterscheiden. Aus der Fortschrittsampel ist ein zersplitterter Rechtsabbiegepfeil geworden.

„Überwachung ist die Mutter aller Probleme“, sagen wir. Aber eigentlich liegt der Kern noch eine Ebene tiefer. Vielleicht sollte es heißen: Probleme immerzu nur mit der Einschränkung von Grundrechten zu beantworten, ist die Mutter aller Probleme. Das passt zwar nicht so gut auf ein Plakat, trifft es aber ziemlich gut.

Wer einen solchen Kurs fährt, muss sich am Ende nicht wundern, wenn von einer freiheitlichen Demokratie nichts mehr übrig bleibt. Und wenn sich die autoritären Fantasten über einen gefüllten Werkzeugkoffer freuen. Deshalb werden wir nicht müde, immer wieder laut zu werden, wenn Grund- und Freiheitsrechte beschnitten werden – ganz gleich, welche Parteifarbe die jeweilige:n Innenminister:innen tragen.

Überwachung und Einschränkung von Grundrechten – das gibt es nicht nur im Großen wie bei der Chatkontrolle und beim geplanten Sicherheitspaket mit seiner biometrischen Gesichtserkennung. Das gibt es auch da, wo eine Reform der Gewalttäter-Sport-Datei verschleppt wird, in der schon viele Fußballfans unrechtmäßig gespeichert wurden. Wenn schon wieder jemand die Vorratsdatenspeicherung fordert. Wenn Staatstrojaner immer tiefer in die Behördenpraxis eindringen. Wenn eine dringend nötige Überwachungsgesamtrechnung immer weiter hinausgeschoben und diskreditiert wird. Oder wenn Befugnisse unverhältnismäßig angewendet werden.

Wir schauen hin, seit Jahren.

Ob Staat oder privat

Wenn Freiheitsrechte eingeschränkt werden, bekommt das nur selten so viel Aufmerksamkeit wie die markigen Rufe nach vermeintlicher Sicherheit. Aber dank eurer Unterstützung können wir beharrlich darüber berichten.

Es sind nicht nur staatliche Stellen, die im Überwachungsfeld mitspielen. Auch private Überwachung ist eine Problemmutter. Bei den Tech-Konzernen paart sie sich bestens mit dem Streben nach immer mehr Profit. Wer alles über uns weiß, kann gut an uns verdienen und unsere Schwächen ausnutzen. Das ist der Treibstoff für den Überwachungskapitalismus.

Überwacht werden aber nicht nur Bürger:innen von Staaten und Nutzer:innen von Tech-Konzernen. Überwachung gibt es auch im Privaten. Wo Ex-Partner:innen ihren Opfern Stalkerware auf Smartphones spielen, wird sie zur physischen Gefahr. Auch dazu recherchieren wir.

Inmitten all der schlechten Nachrichten fragen wir uns immer wieder: Wie könnten andere Lösungen für all die realen Probleme aussehen? Lösungen, die ohne Grundrechtseinschränkungen funktionieren. Lösungen, die Probleme da lösen, wo sie entstehen. Ohne Angst, sondern mit Mut, Wertschätzung und Hoffnung. Weil wir die offene und solidarische Gesellschaft verteidigen und stärken müssen.

Mit deiner Spende für netzpolitik.org ermöglichst du es uns, konsequent für Grund- und Freiheitsrechte einzutreten. Ganz egal, ob das gerade „im Trend“ liegt oder nicht. Wir tun das, weil es wichtig ist. Und wir wollen weitermachen. Deshalb freuen wir uns, wenn du uns – gerade jetzt – dabei unterstützt.

8 Ergänzungen

  1. An sich eine Top Kampagne und auch dieser Teil sagt mir sehr zu, Familien können ja eben auch zwei Mütter haben.

    „Wo Ex-Partner:innen ihren Opfern“

    Sollte das glatt Fortschritt sein, zu sehen sehen dass auch Frauen Täter sind?

    „Wer alles über uns weiß, kann gut an uns verdienen und unsere Schwächen ausnutzen.“

    Der Zwang zum mobile banking ist dafür gerade ein passendes Negativbeispiel.

    „Lösungen, die ohne Grundrechtseinschränkungen funktionieren.“

    Tjoa die Einschränkung des Wesensgehaltes der Abwehrfunktion der Freien Arbeitsplatzwahl im Inland in der Ausgestaltung als Deutschengrundrecht durch die Einwanderungsgesetze der Ampel (Chancenkarte etc.), mithin Abschaffung des Schutzes von Deutschen und EU Bürgern vor dieser weltweiten Konkurrenz ist eine schlimme Grundrechtseinschränkung.

    Zudem darf man sich ja als SAPler aktuell über die Desertation des Unternehmes, seines Arbeitsplatzes nach Indien freuen, kommt davon wenn man die Schranke des Grundrechtes der Eigentumsfreiheit nicht forciert dass dieses Zugleich dem Wohl der Allgemeinheit (im Geltungsbereich des GG) dienen soll, schränkt also auch hier das Grundrecht auf Partizipation ein, denn 15.000 Arbeitsplätze in Indien bringen uns hier rein gar nix.

    Leider aber wolltet Ihr das wohl nicht damit sagen.

    Im Endeffekt kommt es auch bei den Grundrechten darauf an, für wen man einen Staat und den Nutzen aus diesem gestalten will und für wen nicht, sie sind kein Neutrum.

  2. In der Schweiz hat die dortige Piratenpartei gerade Erfolg die „Digitale Unversertheit“ und Überwachungsfreiheit in vielen Kantonsverfassungen zu verankern. Wäre evtl auch ein Konzept das man hierzulande puschen könnte.

    1. Wenn es noch eine taugliche Piratenpartei in Deutschland gäbe, die nicht mit Erfolg ihren besten Fachmann Dr.jur. Patrick Breyer mit Promotion zum Datenschutz verdrängt und sich damit um ihr einziges relevantes Mandat gebracht hätte, mit der fadenscheinigen Begründung, ein Rückkehrer nach >10 Jahren in den Justizdienst des Landes der wieder einer Erfolgskontrolle als Richter unterliegt, hätte mehr Freiheit sich der Betreuung seines Sohnes zu widmen, als ein MdEP der machen kann was er will.

      Frustriert mich wirklich immer noch, ich hätte ihn auch wieder gewählt wenn von ihm die Ansage gekommen wäre, sich die nächsten 5 Jahre lang nur in SH aufzuhalten wegen der Familie, weil ich mir sicher gewesen wäre auch immer noch eine bessere Vertretung als von 99,95 % der anderen EPs von ihm zu erhalten, gerade in diesen Themen.
      Aber aufgrund des vorgenannten Vorganges war ich das erste Mal seit 09 kein Piratenparteiwähler bei der EU Wahl.

      Davon ab, die Hürden für Volksentscheide in den Bundesländern, sind gerade in Flächenstaaten extrem schwer zu erreichen, deswegen gibt es davon auch so wenige.
      Erschließt sich mir nicht, wie das von einem Verein gestemmt werden soll, z.B. ca. eine Million Unterstützer in NRW zu zeichnen, das dürfte selbst Digitalcourage überfordern.

  3. Totaler Überwachungsstaat in Sichtweite. Justizminister ist leider zurückgetreten. Bundesverfassungsgericht wird wohl nicht von Amts wegen zuständig. Den kleinen Parteien FDP, Die Linke, usw, wird in öffentlichen Sitzungen immer wieder ins Wort gefallen oder deren Redezeit sei jetzt vorbei.
    Die großen Parteien nutzen wohl massiv die Zeit Gesetze zur Überwachung der Bürger durchzudrücken. Warum haben die eigentlich so viel Vertrauen in die Polizei. Es sind dort auch bestenfalls Durchschnittsleute tätig. Man sollte Mal diejenigen die ständig Überwachung fordern selbst überwachen. Ob denen das gefallen würde?
    Als Lösung bleibt vielleicht noch auswandern und digitales detoxing.

    1. Weil andere Länder eine so viel bessere Überwachungstradition haben als Deutschland? Welches denn, Grobbritannien, die Niederlande oder die USA? Das Baltikum?

      Dieser ständige, dem Einbringen in das aktuelle Gemeinwesen zutiefst abträgliche Fluchtreflex sollte sich dringend in Kampf umwandeln.
      Nicht zuletzt weil er alle die nicht fliehen können, in der Scheiße alleine zurück lässt.

      Deutschland hat seit 2006 in der Gesamtrechnung der Wanderungsbewegungen laut destatis bis Ende letzten Jahres knapp unter einer Million Deutsche verloren, entgegen jedenfalls meiner Vermutung, sogar mehr Männer als Frauen.
      Komisch aber auch dass diese Wendung in einen dauerhaft negativen Saldo im Jahr nach Vollendung der Agenda 2010 einsetzte, nicht wahr?

      Jedenfalls ist es ein zutiefst abzulehnendes, egozentrisches Verhalten und dass „Wir“ deutlich mehr Kampfpotential hätten als es jetzt der Fall ist, wenn diese fehlende Million hier wäre, sollte wohl klar sein.

      Insofern, solltest Dich für die Flucht entscheiden, kommen von dieser Seite jedenfalls keine guten Wünsche für den Erfolg.

    2. > Den kleinen Parteien FDP, Die Linke, usw, wird in öffentlichen Sitzungen immer wieder ins Wort gefallen oder deren Redezeit sei jetzt vorbei.

      Entweder Sie haben ein einseitiges Wahrnehmungsproblem oder Sie versuchen sich in Desinformation. Die Redezeiten im Bundestag sind klar geregelt und für jedermann/frau nachlesbar. Wer die Zeiten nicht einhält hält die Regeln nicht ein, die für alle Abgeordneten ohne Ansehen von Parteizugehörigkeit gelten, gleichermaßen gilt das für die Regierungsbank und Vertreter des Bundesrats. Auch Kanzler und Minister werden auf das Ende ihrer Redezeit hingewiesen.

      1. Die letzte Debatte im Ausschuss zum Thema IP Adressenspeicherung wurde auf Phönix übertragen und dürfte noch in der Mediathek bereitstehen! Es ist lohnenswert.
        Dabei ist es nicht verboten, eine Stoppuhr einzuschalten.

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